Verein » Chronik » 1875-1910

1875

  • Auf Anregung von Pfarrer Otto aus Untertriebel wurde am 21. September 1875 im „Schießhaus zu Adorf" der Obervogtländische Kreisverein für innere Mission gegründet, der die Ephorien Oelsnitz und Markneukirchen umfasste. In dieser Gründungsversammlung wurde der Entwurf eines Vereinsstatuts angenommen. Zweck des Vereins sollte nach §1 dieser Statuten sein, „den mancherlei leiblichen und geistlichen Notständen in Stadt und Land, vorzüglich in dem gedachten Bezirke, Abhilfe zu bringen". Nach §2 wurde besonders die Gründung und Pflege von Kinderbewahranstalten, Rettungshäusern, Arbeitsschulen, Jünglingsvereinen, Herbergen zur Heimat, Mägdeherbergen, Vereinen für Armen-, Kranken-, und Gefangenenpflege, Volksbibliotheken, Vereinen für Verbreitung guter Schriften, für Waisenerziehung und für Versorgung entlassener Sträflinge ins Auge gefasst.
    Mitglied des Vereins wurde, wer einen Jahresbeitrag von mindestens 50 Pfennigen leistete. So kam es, dass aus 75 Gemeinden 905 Mitglieder durch eine zum Teil einmalige Gabe ihr Interesse an dem Verein bekundeten.
    Die Vereinsangelegenheiten wurden geregelt durch 9 Mitglieder des Direktoriums und der jährlich abgehaltenen Generalversammlung.
    Der neu gebildete Verein stellte sich zunächst das Ziel, ein Rettungshaus für „verwahrloste oder der Verwahrlosung entgegengehende Kinder" des oberen Vogtlandes zu eröffnen. Um dieses Ziel zu erreichen, forderte das Direktorium in den Lokalblättern des Oberen Vogtlandes zum Beitritt in den Verein, sowie zu Geldbeiträgen auf. Es sollte ein geeignetes Areal zur Errichtung eines Gebäudes für ein Rettungshaus gefunden oder bei sich bietender günstiger Gelegenheit ein Gebäude erworben werden.

1877

  • Nach mehreren unausführbaren Projekten zur Einrichtung dieses Hauses war doch das Glück auf Seiten des Vereins. Da der Bauer Michaelis 1877 sein Gutshaus in Raschau mit den dazu gehörigen Grundstücken gemeinnützigen Zwecken stiftete, war nun endlich ein Gebäude gefunden, das den Anforderungen entsprach. Der erste Pachtvertrag wurde auf 12 Jahre abgeschlossen, wobei der größte Teil der Grundstücke weiter verpachtet wurde.

 

1878

  • Mit Unterstützung der Michaelisstiftung war es möglich, das Wohnhaus zu Zwecken des Rettungshauses umzubauen. So vergrößerte man z.B. die Wohnstube, baute einen Backofen ein und baute den bisherigen Kuhstall in einen bewohnbaren Saal um. Außerdem musste nun das notwendige Mobiliar für die Unterbringung von 30 Kindern angeschafft werden.Als nächstes wurden die Statuten und eine Hausordnung für das Haus geschrieben, der Hausvater Friedrich Graslaub eingestellt und ein Abkommen mit der Ortsschule Raschau bezüglich des Schulunterrichts der Kinder abgeschlossen.

    1878 Bekanntmachung und Bitte in der Zeitung


 

Altes Marienstift

  • So war es möglich, dass am 3. Juli 1878 unter großer öffentlicher Anteilnahme das mit Kränzen und Girlanden geschmückte Rettungshaus zu Raschau unter dem Namen „Marienstift" zunächst mit 3 Kindern eröffnet werden konnte. Zur Feier hielt der Vorsitzende des Direktoriums des Stifts, Bezirksschulinspektor Dr. Baunack, eine Ansprache, welcher er das Textwort Matth. 26, 6-13 zu Grunde legte. Die Disposition lautete: Unser Marienstift im Lichte der Geschichte von der Salbung Jesu durch Maria. Superintendent Dr. Bothe sprach das feierliche Wort der Weihe über die Stätte und den kirchlichen Segen über die Versammlung. Der Name „Marienstift" wurde gewiss in Anlehnung an die Mutter Maria gewählt. Die untergebrachten Kinder sollten unter den Schutz der Mutter Gottes gestellt werden.

 

  • Die Zahl der Kinder stieg bis zum Jahresende auf 12 und in den darauf folgenden Jahren war das Haus meistens stark besetzt. Es waren vielfach Waisen, noch häufiger aber Kinder, die von Vater und Mutter vernachlässigt oder ganz verlassen wurden. Auch aus dem Oelsnitzer Armenhaus zu Vogtsberg fanden Kinder im Marienstift ein Zuhause. Ab dem 6. Lebensjahr konnten die Kinder aufgenommen werden und nach ihrer Konfirmation wurden sie gewöhnlich mit Hilfe des Hausvaters in eine Lehr- oder Dienststelle vermittelt.
    Die Hauseltern verliehen dem Leben im Heim einen familiären Charakter. So wurden die Kinder in die Garten-, Feld- und Hausarbeit einbegriffen und zu ehrlichen , fleißigen und christlichen Menschen erzogen. Bei schlechtem Wetter und in den Wintermonaten beschäftigten sich die Kinder mit leichten Arbeiten für eine Fabrik , z.B. für die Perlmutterknopffabrik in Schöneck. Mit dem Verdienst konnte zunächst die Haushaltskasse aufgebessert und später ein Sparbuch für jeden angelegt werden. Aber auch genügend Zeit zum Spiel und für Ausflüge war vorhanden.
 

1888

  • Zur Generalversammlung dieses Jahres wurde erstmals über den Bau eines eigenen Heimes auf eigenem Grund und Boden für das Marienstift beraten.
  • In Oelsnitz fand die Gründung eines Männer- und Jünglingsvereins statt.
  • Außerdem kaufte der Verein hier ein Haus mit Garten, das zur Einrichtung einer Kinderbewahranstalt dienen sollte.

1889

  • Im Mai des Jahres öffnete die Kinderbewahranstalt. Hier wurden Kinder arbeitender Eltern betreut.

1906

  • Durch die erhöhte Brandgefahr in dem bisherigen Gebäude des Marienstifts war das Direktorium trotz Geldmangel zu einer baldigen Lösung gezwungen.
  • Um den bereits 1888 beschlossenen Neubau verwirklichen zu können, erwarb der Verein ein in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenes Grundstück in einer Größe von 65,5 a zu einem Preis von 24 Pf/m².

 

1909

  • Das Fürsorgegesetz für Sachsen trat in Kraft. Dieses beinhaltete, dass staatliche Organe über die Anordnung der Fürsorgeerziehung entscheiden konnten. Die Unterbringungskosten dieser Zöglinge wurden nun von den jeweiligen Verbänden in voller Höhe übernommen.
  • Die Rettungshäuser in Sachsen, so auch das Marienstift, schlossen sich zu einem Verband zusammen, um bei Aufnahme von Fürsorgezöglingen übereinstimmend zu verfahren. Im Verband wurde beschlossen, von solchen Zöglingen einen Mindestsatz von 240 M zu verlangen.
  • Für das Marienstift bedeutete dies nun eine neue Situation, denn bisher hatten die niedrigen Verpflegebeiträge aller Kinder, die in besonderen Fällen ermäßigt oder ganz erlassen wurden, selten genügt, die wirklichen Kosten zu decken. Man war vielmehr auf freiwillige Spenden angewiesen, die es den meisten bedürftigen Kindern überhaupt ermöglichte, ins Rettungshaus aufgenommen zu werden.
  • Schon bald waren zwei Drittel der Kinder Fürsorgezöglinge. In der Folge wurde mit dem Zwickauer Fürsorgeverband ein Vertrag abgeschlossen, nur von ihm Fürsorgezöglinge (20 Jungen und 4 Mädchen) aufzunehmen. Dagegen gewährte der Verband einen Kredit für den Neubau in Höhe von 7000 M.
  • An eigenen Mitteln für den Neubau war bisher ein Betrag von 5000 M erspart worden. So wurde auf der Generalversammlung am 19.9.1909 beschlossen, den auf 36000 M veranschlagten Neubau des Marienstifts nach dem Plan des Regierungsbaumeisters Ihle (Meißen) im Jahr 1910 zu verwirklichen.

1910

  • Am 31. August wurde die Ausführung des Neubaus an Baumeister Schleicher in Oelsnitz vergeben und am 5. September der erste Spatenstich getan. Die Grundsteinlegung fand am 5. Oktober statt. Noch vor Eintritt des Winters wurde das Gebäude unter Dach gebracht.

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